Ich habe aus meinem ursprünglichen Thread auf Twitter einen besser lesbaren Artikel gemacht. Hier ist er nun - mit teils geänderter, aber sinnvollerer Anordnung und mit kleinen Anpassungen in Ausdruck und Grammatik sowie kleineren Ergänzungen:
Gestern habe ich versucht, meiner Mutter zu erklären, was (selektiver) Mutismus ist und wie häufig es der Fall ist, dass Behinderte alles mitbekommen, was um sie herum (und auch über sie, selbst wenn sie danebenstehen/-sitzen) gesagt wird. Auch die verschiedenen Ursachen.
Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass es bei (angeborenen) Behinderungen, auch bei später erworbenen chronischen und morbiden Erkrankungen oft so ist, dass sich Betroffene mitteilen wollen, aber nicht immer können: Worte werden nicht verbal geäußert, aus (unterbewusster od. bewusster) Angst, das Falsche zu sagen, missverstanden zu werden .
Hintergrund: Derzeit pflegt sie (von Beruf ist sie außerdem auch examinierte Altenpflegerin) eine_n Angehörige_n zu Hause. Beim Geburtstag der Person war ich schon wütend über das respektlose Verhalten meiner Verwandten, zum Beispiel sprach eine_r über die Person, als wäre sie nicht anwesend; sie saß aber neben mir.
Der Unterschied zu den verschiedenen von Depressionen betroffenen Menschen innerhalb der Familie, wo es auch unterschiedliche Ursachen und Symptome gibt, ist bei der pflegebedürftigen Person, dass sie mehrfach betroffen ist: Hirntumor & Depression.
Und auch wenn die Person nicht immer das antwortet, was Ableds sich wünschen, heißt dass nicht, dass diese Person "nicht mehr die ist, die Du gekannt hast" (Zitat meine Mutter über Person), wenn mitten drin vergessen wird, was Person tun wollte. (Handlungsabläufe)
Als pflegende Person bist Du dazu da, erst dann, wenn es hakt, zu unterstützen, helfen, Abläufe weiter zu verfolgen und Dinge fertigzubringen. Und Dinge zu fragen ist immer wichtig, auch dann, wenn keine oder komische verbale Äußerung kommt: Mimik deuten!
Und ja, das ist alles sehr anstrengend und ungewohnt, aber überlegt doch mal, Ableds, wie anstrengend es für Behinderte ist, sich zu behaupten, in einer normativen Welt, in der alles auf Ableds zugeschnitten ist, wir können niemals "Feierabend" machen.
Dass es bei den andauernden Stresszuständen, dem Maskieren, dem Selektieren, dem ständigen simultanen Übersetzen irgendwann durch die Dauerbelastung und mangelnde Entlastung unweigerlich zu psychischen Erkrankungen kommen muss, ist Betroffenen oftmals klar... Euch aber nicht. Denn wir sind in eurer Wahrnehmung schlicht defizitär und belastend.
Was eine tatsächliche Belastung, und zwar für die gesamte Gesellschaft, ist, seid IHR. Ihr Inhabenden multipler Privilegien, die ihr alles könntet, aber das meiste nicht wollt. Weil ihr immer die freie Wahl habt und auch bekommt. Weil ihr euch immer nehmt, was ihr denkt, was euch unendlich zusteht, einfach, weil ihr da seid und immer Leistung erbringt.
Und hier sind Angriffe und Ausgrenzungen, aktiv und gewaltvoll, Würde verletzend, noch nicht mal miteinbezogen. Diese Attacken zehren zusätzlich an den Betroffenen, viele, gerade bei sichtbaren Behinderungen, erleben diese täglich. Bei den nicht sichtbaren ist es ähnlich, aber subtiler. Es gibt nie Urlaub von Gewalterfahrungen durch euch, nie.
Wie sehr ihr euch auch selbst damit schadet, wird erst sichtbar, wenn ihr chronisch erkrankt. Dann erfahren viele Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben, was so in dieser Welt an Ableismus drinsteckt. Auch dann hindern internalisierte (unterbewusst ablaufend, im Alltag und Erziehung erlerntes Verhalten, Konditionierung) Ableismen viele noch Jahre daran, ihr Begreifen einer diversen Welt zu erweitern.
Und diese normative, alles erstickende Arroganz und Ignoranz spiegelt sich natürlich auch in anderen Diskriminierungsformen wieder: Feindlichkeit gegenüber Menschen mit abweichendem Glauben, Hautfarbe, politischer Einstellung*, Gender, Sexualität, ...
*Faschos sind NICHT gemeint: Das ist 1 Verbrechen, keine Meinung.
Ebenso geschieht durch euch tägliche Gewalt durch ausgrenzendes Verhalten gegenüber prekär lebenden Menschen, Alleinerziehenden, Vagabundierenden, Arbeitslosen, Drogensüchtigen (aber dabei selbst schön jedes WE komasaufen, top...), Sexworkern & Opfern von (sexualisierter) Gewalt, ...
Das Problem bei euch Normativen ist, dass ihr immer glaubt, alles zu wissen und zu können und davon ausgeht, dass eure Wahrnehmung der Realität und Umgebung das einzig richtige ist. Dabei habt ihr noch nie darüber nachgedacht, was diese Begriffe überhaupt wirklich bedeuten.
Weil ihr es nie musstet.
Aber ihr solltet.
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